Freitag, 18. September 2009

Blayne: Eine Introduktion

Es ist mein Jubiläum. Ein Jahr lang schon bin ich nicht mehr ich, sondern jemand anders. Woher ich das wissen will? Weil es mir gesagt wurde. Blayne ist nicht mehr da, Blayne ist gegangen, Blayne ist tot. Wer dann dort in der Ecke kauere, wird mein Herr gefragt, und er antwortet: "Mein Blayne."

Es muss keinen Sinn ergeben, weder für Aussenstehende noch für mich. Eher noch muss es für Fremde keinen Sinn machen, denn was mit mir geschieht geht sie nichts an.

Ich bin Blayne's innerer Schrei. Seine Kopfstimme, wie mein Herr meine Gedanken gerne nennt. Ich bin der Teil Blayne's, der noch fähig ist, Vorgänge mitzuverfolgen, zu verstehen und mit Worten zu versehen, ein kleiner, schrumpfender, langsam verlorengehender Teil eines Mannes, der sein Leben verloren hat, denn mit einer Sache hat mein Herr sehr wohl recht: Der Mann, der ich vor mehr als einem Jahr war, bin ich nicht mehr. Er ist tot, gestorben unter dem zermalmenden Druck des Willens von Kjaskar de Alar, meinem Herren. Ich bin der letzte Rest von aussterbendem Widerwillen, Aufstand und Meinung, den mein Herr so gerne wie eine Fliege zerquetschen würde, aber es nicht wagt. Wer würde den Körper Blayne's am Leben halten, wenn er diesen letzten Rest Ich zerstört? Diese Frage stellt er sich ab und an, wenn er dem Wein zugesprochen hat, und über das Schicksal unserer beider Existenzen nachdenkt, und ich hüte mich zu antworten "Dein Wille". Er würde es vielleicht beim Wort nehmen.

Aber wer bin "ich", Blayne? Ich bin keine zweiundzwanzig Jahre alt, und ich bin mittelmässig in den meisten Dingen. Mittelgroß, mittelschwer, mittelbraunes Auge (denn ich habe nur noch eines, das auch eine Farbe haben kann, das andere ist blind und weiß seit einer langen Zeit), mittelschmales Gesicht mit eher glatten, kantenlosen Zügen. In einer Masse von drei Menschen schaffe ich es bereits, unsichtbar zu werden, sodass niemand mehr auf mich achtet oder mich auch nur wahrnimmt, und darüber bin ich sehr glücklich. Früher hat es mich zornig und aufgebracht gemacht, aber früher wusste ich auch nicht, was AUFMERKSAMKEIT bedeutet. Dieses Wort ist sogar in meinem Kopf mit Blockbuchstaben versehen, denn ich habe es zu fürchten gelernt, und zu lieben. Mein Beruf? Kleriker. Ja, richtig gehört, ich diene einem Gott, und auch wenn ich einige Zeit über die Rangfolge verwirrt war, so weiß ich inzwischen doch mit beissender Sicherheit, dass mein Gott über meinem Herren zu stehen hat. Warum? Weil mein Herr es so will, und jeder andere Gedanke zu Pein unvorstellbaren Ausmaßes führen würde.

Ich bin Blayne's fauchender Spott.

Ich bin ein Sklave, ein Berater, und ein Geliebter, und alleine diese drei Aufgaben zu vereinen ist bereits fast mehr als ich bewältigen kann. Die Welt in der ich lebe ist eine Welt der Gegensätze. Breitenstein ist eine blühende mittelalterliche Stadt, hell, sauber, gefüllt mit anständigen Menschen, die ehrenwerten Tätigkeiten nachgehen und ihr Glück im Licht der Oberwelt suchen. Ich war einst einer von Ihnen, lange bevor ich Kleriker wurde. Einer von Jenen, die dem Licht dienen, einer von Jenen die der Finsternis mit hartem Mut in der Brust entgegentreten, aber das ist oh, so lange her, und soviel ist passiert seitdem...

Ich bin ein Krüppel, der Glück hatte. Durch mein Gesicht zieht sich eine Narbe, die von meiner Vergangenheit spricht, und Geschichten erzählt die ich lieber für mich behalten hätte. Eine fast daumenbreite Narbe, die sich über mein rechtes Auge zieht - das Auge das blind ist - sich zackig an meinem Wangenbein hinab zu meinem rechten Mundwinkel zieht, und von dort über den Unterkiefer nahe der Halsschlagader hinunter bis zu meinem Schlüsselbein geht. Sie stammt von einem Axthieb, der mit den Kopf spalten hätte sollen, und alleine dass ich diese Wunde überlebte, ist ein großes, unglaublich großes Wunder.

Mein gesamter Leib ist mit Schnittnarben, Peitschennarben, Gertennarben und anderen Geschichtenträgern übersäht, aber nichts ist so auffällig wie die Tätowierung eines Chaossterns an meiner rechten Kopfhälfte. Sie wurde geschnitten, und die Schnitte wurden mit Säure und roter Henna behandelt. Keine Strafe, oh nein! Dies ist die einzige Körperverzierung, die ich selbst wünschte und festlegte wie sie stattfinden soll, wie sie aussehen soll... Die Linien des Chaossternes bestehen aus winzigklein geschriebenen Worten. Ein Glaubensbekenntnis, das mich für ewig an Neq'roth, den Mordbrenner, den Vernichter, den Hasser, den Gott von Untod, Verderben und Verdammnis kettet - und an meinen Herren, denn er soll mein Richter sein, so ich diesen Schwur eines Tages breche.

Von vorne sehe ich aus, als hätte meine rechte Körperhälfte an einem Krieg teilgenommen, den die linke Seite verschlafen hat - eine meiner Eigenschaften, die meinen Herren frohlocken lässt. Gut und Böse. Schön und Hässlich. Lieb und Gemein, und alles was es dazu benötigt ist eine kleine Drehung des Leibes. Das bin ich, wandelbar wie ein Wechselbalg - und ebenso formbar.

Ich bin Blayne's grinsendes Publikum. Und ich werde erzählen. Von Blayne, und von seinem Glück im Unglück. Bald.

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