Samstag, 6. März 2010

Engel im Inferno Pt. 2 (A-O)

Ein dunkler Raum, der Boden geschliffener, fugenloser Onyx. Dumpfe, wimmernde Winde wogten zwischen den unendlich hohen und glänzend schwarzen Säulen, die den Saal säumten, auf und ab, weder heiss noch kalt, doch immer wieder von heftiger Intensität... nur um dann erneut zu einem sachten, leisen Weinen abzuklingen. Seltsame, geflügelte Wesen schlängelten sich als Reliefs über die Säulen hinauf, einander die Schwingen ins Gesicht schlagend in den Stein gebannt. Den Figuren und Mustern fehlten die Augen, und die Fratzen waren zum Schrei verzogen, den Kopf weit zurückgelehnt, gen' Himmel starrend.
Die Umgebung wirkte dumpf, temperaturlos, zeitlos...
Kyron hob den Kopf an, seine Hände glitten über den makellosen Untergrund. Er war in der Mitte des Raumes liegend erwacht, völlig allein, und nach einigen Augenblicken hatte ihn bohrende Angst ergriffen. Er hasste die Einsamkeit...
Tatsächlich, der Boden schien aus einem gewaltigen Stein zu bestehen, keine einzige Unebenheit, keine Schlieren, keine Muster... simple kalte undurchsichtige Schwärze. Hier unterschieden sich die Säulen wenigstens, denn sie zeigten verschiedene Abstufungen und Verschiebungen von schwarz... mattschwarz, nachtschwarz, samtschwarz, glänzendschwarz, absolutes Schwarz.
Es war faszinierend, wie heftig, wie fast farbenfroh ein einziger Farbton - oder eher Zustand - werden konnte, wenn die Umgebung aus nichts anderem mehr bestand.

Kyrons Nervenenden begannen zu prickeln, dann zu brennen, bevor sich sein Körper in einem Schub Adrenalin, in einem schlichten Anflug wirrer, zerfressender Panik zusammenkrampfte, er die Fingernägel in den Stein zu krampfen versuchte. Eine Präsenz hatte den Saal betreten. Eine Präsenz, so unglaublich riesig, allmächtig, und doch so völlig ausdruckslos und hart...

Hass, brodelnder, kochender Hass stieg in Kyron hoch, und gleichzeitig wurde er von einer Hilflosigkeit gepackt die ihn quälend und unbewusst an seine Zeit als ungeborener Säugling erinnerte... oder sogar an eine Zeit davor?

Eine Gestalt, umwimmelt von tausenden völlig stillschweigenden Verhüllten trat langsam, lautlos heran, das Gesicht von einer tiefschwarzen Kaputze verdeckt. Nicht einmal das Geräusch der Füße auf dem Stein war zu hören wo er schritt... die Mordbrenner, die Geißel des Lichts, der Herr des Untodes.
Neq'roth.

"Du hast mich geblendet!"

Seine Stimme war zu einem hilflosen, heiseren, leisen Raunen abgesenkt, unfähig seine Verzweiflung und Seelenpein länger zu verbergen, oder auch nur zu kontrollieren.

"... Ja, ich weiss..."


Der Wind säuselte die Antwort, keine Worte, eher ein Eindruck des Sinns, leise, kalt, urteilslos.

"Und warum bist du zurückgekommen?"

Gedanken an die Schlacht, den Moment seines Todes, an den Moment als er sich so stark, so erfüllt von Ruhe und Stille gefühlt hatte, an den Moment als er zum ersten Mal erahnt hatte, was der Tod bedeuten konnte...

"... ich wollte dich nur...."


Der Wind änderte Richtung und Geschwindigkeit, bevor die Antwort erneut sein Ohr erreichen konnte.

"... hier liegen sehen... geblendet und vergessen..."


Er konnte den Blick nicht länger auf der Gestalt halten, es war unmöglich. Er war zu schwach, zu ängstlich, zu erschüttert um auch nur einen Moment die Kraft zu entwickeln sich zurückzuziehen oder zu erheben, der Schmach der Situation zu entgehen... Aber die Worte drangen wie von selbst aus ihn, herausgerissen aus seiner Seele, seinem Rest von Dasein.

"Du hast mich betrogen..."

Cahira's Tod. Kyron's Schwur, Imaeath 10.000 verlorene Seelen zu übergeben, sollte Cahira ins Leben zurückkehren... doch sie war niemals tot gewesen, der Schwur ein Schwindel, seine Hingabe ein Betrug. Es war niemals Imaeath gewesen, die seine Gebete beantwortet hatte, und diese Erkenntnis durchfuhr ihn eiskalt, zerstörerisch, zermalmend.

"...ja, das habe ich..."


"Und warum... bist du zu mir zurückgekehrt?"

So lange hatte er sie vermisst, diese Sicherheit ob der Existenz des Göttlichen, und nun war es soweit, hier, in diesem unwirklichen, traumartigen Gebilde?

"... ich wollte dich nur erneut fallen sehen..."


Das Wispern des unfühlbaren Windes, der an Haar und Kleidung zerrte wurde einen Moment lauter, intensiver.

"... geblendet, betrogen und vergessen..."


Ein leises Schluchzen entkam Kyron, doch der Wind verzehrte die Tränen noch bevor sie seine Wimpern benetzen konnten.

"Du wirst mich hier unten vergessen.. geblendet, betrogen und vergessen..."


Der Wind entfernte sich, einem flatterhaften Schmetterling gleich, und einen Moment hallten die Worte wispernd durch den ganzen Saal, bevor sie zu Kyron zurückkehrten.

"... ja, das werde ich..."


Seine Muskeln erschlafften. Blicklos starrte er zur Seite, auf die Säulen, und musste mit eisigem Grausen feststellen, dass die Fratzen verschwunden waren.

"Und.. warum bist du dann noch hier?"

Es toste als sich mehrere Windstösse wie zufällig um Kyron ballten, seine Schläfen pochen ließen als die ganze Macht der Ströme auf seinen Kopf traf und die Worte in seine Seele hämmerte.

"...Niemand ist übrig... um sich an dich zu erinnern...

... also bin ich der Letze... der deinen gebrochenen Blick sieht...

... aber bald werde ich ebenso verschwunden sein..."


Die Ströme brausten auseinander, rissen an seiner Kleidung, dann an seinem Haar, und schliesslich begannen seine Glieder zu krachen, und dann langsam vom Körper zu brechen... Und dann verschwand sein Sein aus der Erinnerung, und die Erinnerung aus seinem Sein.

Zurück blieb eine kalte, aschebedeckte Ebene, getaucht in stetiges Zwielicht, und vom Himmel regnete unendlich und unerschütterlich kalte, stille Asche, legte sich auf seinen Leib, auf die verkohlten schwarzen Bäume, und erstickte jeden Laut.
Hölle.

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