Samstag, 6. März 2010

Engel im Inferno (A-O)

Die Schlacht wütete, während der Regen kalt und klamm auf die schmutzigen, ermüdeten Krieger herniederprasselte. Seit Tagen tobte das Unwetter, verwandelte Wege und Felder in morastige Schlammlöcher, machte Wege unpassierbar, und ließ die ausgemergelten Kriegslager selbst im Schlaf noch zittern und beben vor Kälte. Nachts zerbrachen die Tonkrüge mit dem letzten Trinkwasser unter dem Druck des Eises, Morgens ließ der Rauhreif und Tiefnebel die Welt wie ein totes Urtier wirken, und Tag um Tag fanden die Heerestrupps neue Tote des unnatürlichen Kälteeinbruches - klamme, starre und bleiche Leiber, die wie schlafend zwischen den Zelten ruhten.
Wenigstens wusch der stetige Regen, Hagel oder Schnee das Blut von Rüstungen und Waffen, und reinigte die schmutzstarrenden Krieger besser als es eine kurze Wäsche an einem Wassertrog gekonnt hätte.
In der Mitte des Talkessels, der zwischen zwei eher kümmerlichen Grashügeln lag, verlief der Kern der Schlacht weniger sauber. Nicht nur war das Erdreich so aufgewühlt, dass die schwer Gerüsteten Krieger teilweise bis zu den Waden im Schlamm steckten, auch Müdigkeit, Erschöpfung und die stetige Kälte forderten einen Tribut, wie er teurer nicht sein konnte.
Der hohle Ton des unerbittlich herabprasselnden Regens erzeugte dumpfe Klopfgeräusche, die zwischen dem Klirren der aufeinandertreffenden Waffen, dem schweren Rasseln und Knarren der Rüsten, und den heisteren Schmerz- und Todesschreien der Kämpfenden ein nerventötend monotones Hintergrundsummen erzeugten.

Drei verdammte Monate. echote es in Kyrons Kopf, während er mit schmerzenden, steifen Muskeln die ebenso müden Angriffe seines Gegenübers abwehrte, angriff, wieder abwehrte, wieder angriff, und sich kaum noch die Mühe machte, auch auszuweichen - der Schlamm hätte ihn nur zum Stolpern und damit in den sicheren Tod geritten.
Seit drei verdammten Monaten halten wir diese einzige Grenze. Drei Monate, das ist ebenso gut wie unser baldiges Todesurteil. Kein Nachschub. Die Lebensmittel gehen zuende. Und diese Bastarde stehen einfach wieder auf, und kämpfen weiter.
Mit einem rauhen, kälteheiseren Ruf versuchte er dem auf ihn eindringenden Gegner den Kopf abzuschlagen, nur um an dessen Halsberge abzugleiten, und beinahe selbst aufgeschlitzt zu werden. Der Ghul gab einen gurgelnden Laut von sich, und fuhr dann fort, monoton und gleichbleibend auf ihn einzuschlagen. Sicher, diese Untoten hatten die technische Finesse eines Mühlrads, aber sie brauchten keine Geschicklichkeit, und keine Kampfeskunst. Sie schliefen nicht, sie aßen nicht, sie wurden nicht müde, und sie waren nicht zu demotivieren - mehr brauchte es nicht, um ihre reichlich sterblichen Gegner langsam aber stetig zu vernichten.

Kyron wusste um sein baldiges Ende, wie es wohl auch der kümmerliche Rest der Ordensritter der Sonne bereits eingesehen hatte. Der Großteil der Milizen und auch einige verbündete Adelstrupps waren bereits vor mehr als zehn Tagen klammheimlich desertiert, und hatten die Garde des Sonnenordens und deren treueste Verbündete mehr oder minder im Stich gelassen. Der Verlust schmeckte bitter, und klamm, bedeutete er doch, dass selbst die Landesherren Nivenor bereits aufgegeben hatten. Vermutlich hatten die desertierten Adeligen Landsäcke bereits Verträge mit den Neq'rothim abgeschlossen, um ihre Haut zu retten - was war schon Glaube für jene, deren Leben nur aus Reichtum, Macht und Gemütlichkeit bestand?
Mit einem bitteren, keuchenden Lächeln verpasste er dem Ghul einen Schildstoss, der die Kreatur in den Schlamm beförderte, wo sie nur wenige Sekunden später von dem tobenden Kampfgeschehen zertrampelt wurde.
Morast tropfte in kleinen Klumpen von seinen Oberschenkeln, und einen Moment lang wagte er es tief durchzuatmen, bevor auch schon das nächste halb verfaulte, zerstückelt aussehende Todeswesen vordrang und ihm wieder zusetzte. Der Rythmus änderte sich kein einziges Mal, und wo er die letzten Tage noch einen Hauch von Hoffnung empfunden hatte, so beförderte ihn die Erschöpfung zunehmend in einen Zustand geistiger Betäubtheit.
Ich werde heute sterben. Siehst du mich von deinem Ausblickpunkt dort hinten, Kjaskar de Alar, Feldführer der Neq'rothim?

Etwas veränderte sich am Geräusch des Waffenklirrens um ihn herum, doch schien es unmöglich in diesem Moment aufzusehen. War da nicht das saugende Klopfen von Hufschlägen gewesen? Unmöglich. Die Imaeathim hatten ihre Pferde bereits vor drei Tagen geschlachtet und gepökelt, als die Nahrungsmittel zuende gegangen waren, und kein Nachschub in Sicht gewesen war - und die Neq'rothim besaßen nichts mehr, was noch gelebt hätte.
Das harte, ohrenbetäubende Klirren der aufeinandertreffenden Schwerter wurde lauter, dann leiser, und dann schien es sich hinter Kyron zu verschieben. Einen winzigen Moment wagte er es, aufzusehen, und wurde einen Moment von dem ersten heißen Schauder seit Wochen durchfahren - die Schlachtlinie hatte sich hinter ihn verschoben, gefährlich weit zurück, und die Ghule begannen um ihn herum zu branden.
Umzingelt zu werden würde seinen endgültigen Tod bedeuten, und so ließ er sich von den Hieben der faulenden Kreatur zurückdrängen, langsam und kontrolliert. Nur noch sieben Schritte. Nur noch sechs.
Nur noch fünf.

Dumpfes Hufgeklapper, hartes Schnauben, und das zischen eines Morgensterns waren die letzten Geräusche die er hörte.
Dann brandete die Kavallerie von Lord Nehlim durch die Reihen der Untoten, und vernichtete, was von den Erlösern Nivenors übrig geblieben war.

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