Breitenstein, die gänzende Stadt. Ich habe sie bereits erwähnt, und auch ihre hellen, freundlichen Gassen und Einwohner. Aber meine Geschichte begann nicht in Breitenstein, sondern an einem weitaus düsterern Ort namens Immernacht. Eine so große Stadt wie Breitenstein zieht früher oder später Gesocks an, und als eines Tages die Kanalisation der Stadt nicht mehr richtig funktioniert hat, stellte niemand aus der Stadtverwaltung Fragen - vermutlich war das Bestechungsgeld für das Schweigen einer ganzen Stadt so horrend, dass niemand mehr die Notwendigkeit sah, ein Wort über die sich tummelnden Einwohner unter den Einwohnern zu verlieren.
Meine Geschichte beginnt demnach in diesem Käferverseuchten, unterirdischen und finsteren Teil der Stadt, unten in den baufälligen alten Gassen der ehemaligen Kanalisation, wo mehr Räuber und Diebe leben als in den Kerkern der größten Stadt:
Ich hatte mich bereits sechs Tage in den Gängen Immernachts aufgehalten, als mein knurrender Magen sich endgültig dazu entschloss, mich und meine Hartnäckigkeit im Stich zu lassen. Im Abstand von fünf Stunden hatte ich mich bereits dreimal übergeben, beim ersten Mal mit Bedauern den etwas schimmeligen Resten einer Brotkruste nachtrauernd die ich zuvor einem Gossenkind gestohlen hatte, beim zweiten Mal war es das letzte Schlücklein sauberes Wasser gewesen das ich noch gefunden hatte, und beim dritten Mal war nur noch bittere, gelbe Galle aus meinem Magen gesprungen, während ich mich durchaus erbärmlich auf dem Boden wand. Keuchend versuchte ich mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal vernünftig gegessen hatte, und stellte mit Erschrecken fest, dass es wohl inzwischen schon mehr als 10 Tage her sein musste, dass meine Nahrung warm und nicht verfault oder verdorben gewesen war. Ein neuer Rekord, den ich zu meiner eher traurigen Bilanz nur deshalb dazurechnen konnte, weil die besagte warme Mahlzeit aus der Armenküche gestohlen, und ich damit dort gebannt war.
Seufzend rappelte ich mich von meinem letzten Magenkrampf gebeutelt hoch, und blickte mich abwägend um. Es wurde eindeutig wieder Zeit, jemanden auszurauben der mich eine Zeit lang versorgen würde, ohne sich zu beschweren. Und da ich nie ein guter Taschendieb gewesen war, und meine Hände mir lieb waren, würde ich wohl die letzte Phiole Gift verbrauchen müssen.
Der richtige Ort für Mordanschläge in Immernacht war nach wie vor der "saufende Balron", eine große, neutrale Taverne im Herzen der Unterstadt. Neutral jedoch schien in diesen Tiefen Auslegungssache, und bedeutete grundsätzlich nur dass man jemanden umbringen konnte ohne dass die Wachen kamen, oder irgendjemand Alarm schlug - die meisten Besucher wären sowieso zu betrunken gewesen, und die wenigen die es nicht waren, versuchten meist selbst ihr Glück mit Beutelschneiden oder Mordanschlägen, um die eigene Tasche zu bereichern.
Ich ließ mich von der rauchigen, schweissgetränkten Tavernenluft einhüllen, und nutzte die ersten Momente dafür, die Menge zu sondieren. Die üblichen Säufer, darunter ein paar Trickbetrüger die man schon auf die Ferne an ihrem gefälschten Goldschmuck erkannte, einige Huren die ihr Glück bei den wenigen besser gekleideten Gästen versuchten, und die eine oder andere Trunkleiche, von denen wohl die Hälfte wirklich tot war, und die andere Hälfte am nächsten Tag mindestens ohne Gold, vielleicht aber auch ohne Stiefel aufwachen würde.
Ich hatte mein Opfer bereits im Kopf: Reich, eventuell alleine sitzend, am besten ein Erstling in den Reihen der Balronbesucher - nun galt es nur noch, ihn zu finden.
(wird Fortgesetzt)
Montag, 21. September 2009
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